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Viele Jugendliche hatten noch nie einen Besen in der Hand"

Betriebe klagen über miserable Lehrlinge Einmaleins, Sprache und Verhaltensregeln mangelhaft - Kultusministerium hält Kritik für zu pauschal Von Manfred Hummel und Rudolf Neumaier München - Tausende Schulabgänger in Bayern stehen vor einer ungewissen Zukunft. In vier Wochen endet das Schuljahr, und die bayerische Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit rechnet hoch, dass 30 000 Ausbildungsplätze fehlen. Wirtschaftsminister Erwin Huber werde wieder an Betriebe appellieren, Lehrlinge einzustellen, teilt eine Ministeriums-Sprecherin mit. Auf solche Appelle hallt jedoch aus den Betrieben ein Echo mit bitterer Klage zurück. Viele Unternehmer, die bislang regelmäßig Auszubildende eingestellt haben, halten die Schulabgänger für schlecht vorbereitet auf eine Lehre: Sie attestieren ihnen einen gravierenden Mangel an Bildung - und an einfachsten Verhaltensregeln. Auf die Frage nach der Qualifikation von Schulabgängern schlägt mancher Chef und Ausbildungsleiter die Hände über dem Kopf zusammen. ¸¸Die können fast nichts, die müssen noch eine ganze Menge lernen", sagt Anton Niggel, bei den Iwis-Kettenwerken Johann Winklhofer & Söhne in Landsberg und München zuständig für 15 neue Azubis pro Jahr. Das beginne bei Kleinigkeiten wie dem morgendlichen Gruß. Eva Widmaier vom Automobilzulieferer Hans Widmaier stellt jährlich einen kaufmännischen und einen technischen Lehrling ein. Sie berichtet, dass mitunter hervorragende Bewerbungen auf ihrem Schreibtisch landeten. Der Großteil aber sehe anders aus. ¸¸Die schreiben schon den Firmennamen falsch, die Bewerbungsunterlagen sind verschmiert, die Noten schlecht." Dazu kämen Rechtschreibfehler und schlechtes Deutsch. Auf die Frage nach dem Ministerpräsidenten wüssten von zehn Bewerbern nur zwei die Antwort. Lediglich einer könne sagen, welcher Partei Edmund Stoiber angehört. ¸¸Die Allgemeinbildung ist sehr schlecht", klagen mehrere Unternehmer unisono. Hauptschulabsolventen, auch solche mit Quali, hätten in den Berufen der Metall- und Elektroindustrie wegen der Anforderungen praktisch keine Chance mehr, sagt Gerold Hasel, Personalchef der Maschinenfabrik Reinhausen GmbH in Regensburg, die dort in der Produktion von Automatikgetrieben in Großtransformatoren 1100 Mitarbeiter beschäftigt. ¸¸Wir nehmen nur noch solche, die über den M-Zug an der Hauptschule die Mittlere Reife erworben haben." Die Firma rekrutiert ihre Auszubildenden aus dem großen Einzugsgebiet im Norden Regensburgs und den angrenzenden ländlichen Gebieten. Das gebe eine gute Mischung, sagt der Personalchef, der mehr als 100 Lehrlinge betreut. Ein Betrieb in Augsburg habe mit Bewerbern direkt aus der Stadt eine andere Klientel. Während sich große Firmen die besten Leute aussuchen können, müssen die kleineren nehmen, ¸¸was übrig bleibt", wie Marianne Wydeau sagt. Sie ist Teilhaberin der B&W Stahl- und Metallbau GmbH in Waldkraiburg und stellt in diesem Jahr wieder drei Lehrlinge ein, ¸¸obwohl wir jahrelang enttäuscht wurden und allmählich die Nase voll haben". Die meisten Auszubildenden müsse sie im Betrieb erst einmal erziehen. Das beginne am Morgen damit, dass die Jugendlichen ungewaschen zur Arbeit erscheinen, und es ende abends damit, dass sie am Arbeitsplatz ein Chaos hinterlassen. ¸¸Viele von den jungen Leuten hatten noch nie einen Besen in der Hand. Ausnahmen gibt es leider nur sehr wenige." Es sei im Gegenteil eher die Regel, dass neue Lehrlinge Grundrechenarten wie das Einmaleins nicht beherrschen. Nachhilfe und Lesestunden Das Kultusministerium will solche Urteile nicht wahrhaben und weist sie als zu pauschal zurück. Es sei nicht auszuschließen, dass vereinzelt junge Leute einen Mangel an schulischen Grundfertigkeiten und Verhaltensregeln erkennen lassen, sagt ein Sprecher. In aller Regel seien Schulabgänger jedoch auch an der Hauptschule auf einem guten Bildungsstand. ¸¸Die Zahlen der Pisa-Studie belegen das überaus deutlich", sagt der Sprecher. Dennoch bemühe sich das Kultusministerium, die Brücken zwischen Hauptschulen und Unternehmen auszubauen. Iwis-Ausbilder Anton Niggel lässt seine Azubis nachlernen, was sie nicht können. Wer beim Quali durchgefallen ist, muss ihn an seiner ehemaligen Schule nachmachen und dafür Urlaub nehmen. Im Betrieb erhält er an Wochenenden Nachhilfe in Deutsch und Rechnen. ¸¸Die jungen Leute müssen lernen, selbst zu lernen", hat Niggel erkannt. Sie müssten kapieren, dass es an ihnen liegt, und nicht die Schuld auf andere schieben. Deshalb stimmt Niggel keineswegs ins allgemeine Klagelied über die ¸¸schlechte" Jugend, die Defizite im Elternhaus und das mangelhafte Schulsystem ein. Die Leistung der Schulen sei ausreichend. ¸¸Sie tun, was sie unbedingt tun müssen." In den Iwis-Werken veranstalten sie zum Beispiel ¸¸Lesestunden". Ein Azubi liest laut vor, die anderen lesen leise mit. Anschließend wird der Stoff in der Runde besprochen. Teamarbeit ist bei dem Automobilzulieferer ein probates Mittel, um den Jugendlichen beizubringen, wie sie einen Arbeitsprozess komplett selbst organisieren: von der Planung über die Bestellung des Materials und den Zusammenbau eines Motors bis hin zum Kontakt mit dem Kunden. Nach den dreieinhalb Jahren Ausbildung funktioniere das wunderbar. Eva Widmaier findet es wichtig, die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Schulen und Eltern zu verbessern. Demnächst bekommt sie Besuch von sechs Hauptschullehrern und ist schon gespannt darauf. Am wichtigsten findet sie, die Deutschkenntnisse zu verbessern. Da seien die Eltern gefragt


DIE SCHIEFLAGE VON PISA

Von Roswin Finkenzeller


Schlendrian ist schön, nicht wahr? Deshalb grämt sich auch kaum jemand über die Befunde der sogenannten Pisa-Studie. Denn eigentlich wissen oder ahnen wir seit langem, was jetzt der internationale Leistungsvergleich erbracht hat, daß nämlich die deutschen Schüler herzlich schwach sind. Auch in Bayern, dessen Regierung lieber in nationale Vergleiche flüchtet, sind Abiturienten mit unzureichender Ausdrucksfähigkeit und miserablen Geschichtskenntnissen vertraute Erscheinungen. Wer das in den vergangenen Jahren beanstandete, bekam zu hören, wichtiger als positives Wissen sei soziale Kompetenz. Ach ja? Gerade mit der Hilfsbereitschaft ist es aber bei uns nicht weit her, und in der Höflichkeit waren wir noch nie Weltmeister. Dann wurde entgegnet, es komme auf die Naturwissenschaften an und nicht auf alte klassische Zöpfe. Tatsächlich? Dann ist es aber doppelt traurig, daß die Pisa-Studie den deutschen Schülern schlechte Mathematik-Noten verpaßt hat. Die edelste Selbstrechtfertigung aber lautete, nicht Kleinigkeiten gelte es zu erfassen, sondern die großen Zusammenhänge, die strittigen Fragen, die weltbewegenden Probleme. Eben, eben. Gerade dazu haben die Schüler, siehe Pisa, nicht mehr die Kraft, und zwar deshalb nicht, weil sie nicht gelernt haben, komplizierte und stark differenzierende Texte zu lesen, zu verstehen und zu schreiben. So geht es, wenn Pädagogen es chic finden, den fünften Schritt vor den ersten vier zu tun. Das Ideal ist immer noch die leidenschaftliche Diskussion bei spärlichem Wortschatz und ungenügender Vertrautheit mit den näheren Umständen. In Wahrheit aber wird ein Plausch etwa über die deutsche Vergangenheit umso wertvoller, je besser die Geschichtszahlen sitzen. Und englische Lektüre ist umso vergnüglicher, je mehr Vokabeln vorher gepaukt, je mehr Grammatikregeln verinnerlicht wurden. Die kurze Diskussion über Pisa verlief in Bayern nach uraltem Schema: Jeder drehte sich um und guckte, ob sich ein Schuldiger finden lasse. Obwohl sich viele an der eigenen Nase ziehen sollten



- es sei doch die Bemerkung gestattet, daß die intellektuelle Potenz dreier bayerischer Schulminister graphisch eine nach unten verlaufende Kurve ergibt. Hans Maier, Zehetmair, Hohlmeier - so darf es unter einem Ministerpräsidenten, der High-tech will und deshalb auch die Voraussetzungen dafür wollen muß, tendenziell nicht weitergehen.



Dennoch zeichnet sich gerade ein geistiger Mensch dadurch aus, daß er sehr viel, erstaunlich viel, überdurchschnittlich viel von sich selbst verlangt. Bayern hat solche geistigen Menschen bitter nötig. Zum intellektuellen Reifeprozeß gehören auch Mühsal und Entbehrungen, was einzusehen den Schülern, Eltern, Lehrern und Ministerialbeamten wahrscheinlich am schwersten fällt. Wie auch immer, kluge Leute werden sich zu helfen wissen. Notfalls schicken sie ihre Kinder auf eine Schule im Ausland.






Kommentar-Hohlmeiers-Demütigung


Edmund Stoiber erspart Monika Hohlmeier keine Tortur:
Während Anfragen der Opposition sonst gerne hochnäsig abgetan werden, musste Hohlmeier
vorgestern auf Druck der Staatskanzlei auf 37 Seiten Auskunft geben - und gestern dann
auch noch höchstpersönlich Fehler eingestehen und dabei so viel Asche auf ihr Haupt
streuen wie vermutlich noch nie in ihrem Leben. Selbst beim pflichtgemäßen Treueschwur
für Hohlmeier achtete Stoiber auf Distanz: Den Schwur musste an seiner Stelle Erwin Huber
leisten.

Doch auch die erzwungene Reue kann nichts beschönigen. Hohlmeiers Antwort ist das
Dokument einer systematischen Vermengung von Staats- und Parteiinteressen,
die in dieser Form erschreckend ist. Denn es zeigt sich einmal mehr - wie schon bei dem
Erpressungsversuch gegenüber eigenen Parteifreunden - dass der Tochter
von Franz Josef Strauß offenbar jeder politische Skrupel fehlt.

Wer routinemäßig Beamte für reine Parteiarbeiten einspannt, offenbart nicht nur,
dass ihm die Trennung von Staat und Partei völlig schnurz ist. Er missbraucht damit auch
die berufliche Loyalität von Untergebenen für persönliche Zwecke.

Hohlmeiers Sündenregister reicht mittlerweile für mehrere Demissionen.
Ihre Rolle im Münchner CSU-Sumpf ist nach wie vor ungeklärt: Sie hat versucht Parteifreunde
zu erpressen, dies zuerst abgestritten - vulgo: gelogen -.‚ um sich dann halbherzig
zu entschuldigen. Ihr Ministerium war ganz offenkundig eine Filiale der Münchner CSU
und es tauchen ständig neue Vorwürfe auf, dass unter Hohlmeiers Regiment Kritiker
geschurigelt und Günstlinge protegiert werden. Darauf kann es nur eine Antwort geben:
Ed mund Stoiber muss sich von seiner Schulministerin trennen.

Peter Fahrenholz - SZ - 11. August 2004 Was der Pädagoge zu tun hat


Bei einer Pflichtstundenzahl von 28 Stunden in der Woche, sehr großen Klassenstärken,
einem hohen Ausländer- und Aussiedleranteil und sozialen Problemen innerhalb der
Schülerschaft möchte ich einmal schlaglichtartig die Schulpraxis eines Hauptschullehrers
beleuchten, die sich sicherlich in vielen Aspekten der täglichen Arbeit mit der an einem
Gymnasium deckt.

Ein Lehrer an einer deutschen Hauptschule ist Klassenlehrer, hat Korrekturen,
schreibt Vergleichsarbeiten in den Klassen 7 und 10, Tests und kontrolliert die
Hausaufgaben. Er macht selbstverständlich differenzierten Unterricht, setzt die
Unterrichtsthemen aktuell um, nimmt an verschiedensten Konferenzen, Steuerungsgruppen und
Arbeitsgruppen teil, erstellt Protokolle, bestellt und besorgt Filme und Medien,
erledigt Aufsichten und Toilettenkontrollgänge. Zu telefonischen und persönlichen
Elterngesprächen ist er in seinen Freistunden gerne bereit.
Auch bei Elternsprechtagen, Wandertagen, Klassenfahrten, Projekttagen ist er anwesend.
Bei der Schulprogrammgestaltung, der Evaluation, bei Fortbildungsveranstaltungen,
bei Klassenfesten, Feiern im Kollegium und sonstigen
Aktivitäten ist der Hauptschullehrer, aber auch sein Kollege am Gymnasium,
sicher dabei.
Selbstverständlich informiert er sich außerdem über aktuelle Fachdidaktiken und
Fachliteratur, Neues im amtlichen Schulblatt, Wissenswertes aus dem Landesinstitut
und nimmt die Mitteilungen des Schulträgers und der Bezirksregierung zur Kenntnis.
Diese unvollständige Auflistung zeigt, dass beide Lehrertypen (Sek 1) Gleiches erledigen
müssten - aber die Hauptschule bietet noch mehr. Hausbesuche bei schwierigen Schülern, Klassenkonferenzen bei schwerwiegenden Vergehen
gegen die Haus- und Schulordnung, Kontaktaufnahme zum Sozialamt, zum Jugendamt,
zur Jugendberufshilfe, zum Berufsberater, zum Schulpsychologen, zum Sonderschulkollegen,
tägliche Beratungs- und Erziehungsarbeit mit sensiblen, schwierigen und
,, No-future ,,-Schülern, Eintreiben von Geldbeträgen für beschädigte Bücher,
Möbel und Wände, Erledigung von Korrespondenz mit Erziehungsberechtigten wegen
fehlender Hausaufgaben, Schulschwänzens, aggressiven Verhaltens, Erstellen von Gutachten
für Sonderschulverfahren, Gespräche im Kollegenkreis über Maßnahmen und Konsequenzen,
Besorgung von Dolmetschern für die Elterngespräche. Von den Disziplin-schwierigkeiten
und den Bedrohungen innerhalb der Schülerschaft und auch gegen die Lehrer ganz zu schweigen
. Auch diese Auflistung ist sicherlich nicht vollständig. Die tägliche Arbeit eines Hauptschullehrers ist eine spannende soziale Aufgabe
am Puls der Zeit


Hubertus Kneilmann, Münster


Land der aufgeblasenen Selbstgefälligkeit- Bayern verkürzt die Gymnasialzeit:
Das beste Abitur, wo gibt/ Süddeutsche Zeitung vom 13. Februar



Es macht fassungslos, wie leichtfertig das erfolgreiche bayerische G9 - immerhin
"Pisa-Weltmeister-Bezwinger" - aufs Spiel gesetzt wird. Das einzige Argument, welches für das G8
spricht, sind die (möglicherweise!) um ein Jahr jüngeren Schulabgänger. Doch selbst dieser
Vorteil ist fragwürdig. Jeder Personalchef wird im Zweifelsfall den besseren Bewerber ein-
stellen und nicht den zufällig um ein Jahr jüngeren.
Franz Kestler - Holzkirchen -



Natürlich sind die meisten Lehrer an Verbesserungen interessiert, aber bitte nicht
überstürzt, sondern gut vorbereitet. Gelegentlich frage ich mich ernsthaft, ob die
bayerische Kultusministerin ( gelernte Hotelkauffrau, die angeblich ihre eigenen Kinder
in Privatschulen schickt)
wirklich weiß, wie es in Deutschland und speziell in Bayerns
Schulen zugeht
, vor allem wie es um die Motivation vieler Schüler unserer satten
Jugendgeneration steht .
Henning Mäder - Erlangen


Die überwiegende Mehrheit der Lehrer arbeitet hart, oft noch mehr Stunden, als Alex Rühle
in seinem Artikel dargestellt hat. Lerninhalte werden den Schülern mit immer raffinierteren
und aufwendigeren Methoden nahe gebracht; außerdem müssen mehr und mehr Erziehugsaufgaben
wahrgenommen werden, die von anderen Seiten nicht geleistet werden.


In den vergangenen Monaten hat sich nur noch Frust in der Lehrerschaft breit gemacht:
darüber, dass ein gutes Bildungssystem schlecht gemacht wurde;darüber, dass man als
Insider bei anstehenden Veränderungen nicht einmal angehört wurde.
So kann man eigentlich nicht miteinander umgehen. Das einzige , was uns aufrecht erhalten
hat , war die Arbeit mit den Kindern.

Marlene Staud- Roth